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15.09.2020

Stimmen aus dem Chor:
Sopran Sylvia Bello

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Ein neuer Chor

Ich wage einen verstohlenen Blick in die Noten meiner Sitznachbarin zu meiner Rechten. Natürlich liege ich bereits wieder einige Takte zurück. Schnell blättere ich vorwärts in der Hoffnung, nach vielen verpassten Noten den Einstieg wieder zu finden.

Es ist Montagabend und meine erste Schnupperprobe im Chor Audite Nova. Die Sechzehntelnoten im «Pleni sunt coeli» aus Bachs H-Moll-Messe fliegen nur so um meine Ohren. Nun sitze ich hier und frage mich, worauf ich mich eingelassen habe? Ich war doch bloss auf der Suche nach einem neuen Chor… Vielleicht etwas zu naiv. Hätte ich zu meinen Auswahlkriterien – kein Kirchenchor, passender Probentag und gut erreichbares Probelokal – besser auch die Art der Musikliteratur genauer angesehen. Jetzt schwimme ich gegen einen Tsunami von Koloraturen an, ohne nur ansatzweise an der Wasseroberfläche zu bleiben. Hektisch sehe nach links. Die sind ja schon wieder weiter…

In der Pause macht mich meine Sitznachbarin darauf aufmerksam, dass wir uns umsetzen müssen. Es gehe nachher im Doppelchor weiter. Wieder grosse Fragezeichen in meinem Kopf. Meine Chorerfahrung setzte sich bis anhin aus bisher knapp 20 Jahren Mitgliedschaft in kleinen Dorfchören zusammen. Maximal 25 Sänger. Manchmal sogar nur um die 15. Da waren Werke mit Doppelchor, wie in Bachs H-Moll-Messe vorkommend, nie ein Thema.

So schlängle ich mich irgendwie durch die Probe hindurch, an deren Ende ich ziemlich fix und fertig in meinem Stuhl sitze. Ich bin überzeugt: Das wird nichts! So viele Noten, so schnell! Das lerne ich nie. Und Konzerttermin ist auch schon in ein paar Monaten…

Doch bevor ich meine Zweifel äussern kann, werde ich von der Energie meiner rechts sitzenden Nachbarin regelrecht überschwemmt: „Du kommst aber wieder? Gell?“ Irritiert richte ich meine Aufmerksamkeit auf meine linke Sitznachbarin: „Klar doch! Du MUSST wiederkommen!“ Mit sowas hatte ich nicht gerechnet. Die wohlwollende Ausstrahlung der beiden schmelzt meine Zweifel wie ein Glace in der Sonne weg. Mein Herz sagte dazumal: ja, zu diesem Chor möchtest du gehören! Der Verstand wusste aber auch, dass dies viel Arbeit bedeutet. Mein Leben lang musste ich nie ein Vorsingen bestehen. Nur schon dies bereitete mir einige schweisstreibende Stunden, begleitet von Gesangsunterricht und vielen Überlegungen, was für ein Stück ich für das Vorsingen vorbereiten sollte? Parallel dazu lief die Übungs-CD für Bachs Messe in Dauerschleife im Auto.

Nach zwei Vorsingen beim Dirigenten Johannes Meister wurde ich dann tatsächlich aufgenommen! Und nach einem weiteren Vorsingen in der Gruppe stand ich sogar bereits wenige Monate später mit dem Chor auf der Bühne und sang Bachs H-Moll-Messe mit.

Heute, 5 Jahre später, weiss ich, wie ich grosse Werke und kleine, feine Lieder neben den Proben einzuüben habe und die Koloraturen? Dank Händels Messiah machen sie richtig Spass zu singen. Weiters durfte ich schon weihnachtliche Stimmung im KKL verbreiten, gefühlvolle Requiems einüben, mit der Brass Band Rickenbach in die Welt der Musicals eintauchen und vogelzwitschernd Verbundenheit zeigen mit dem katalanischen Coral Càrmina aus Barcelona.

Und zur Verbundenheit: Ich schreibe diese Zeilen nach der Rückkehr aus einem gemeinsamen Wanderurlaub mit Daniela. Uns verbindet, dass wir im selben Monat im Chor Audite Nova aufgenommen wurden. Neben ihr sind auch noch weitere sehr liebe Menschen in mein Leben gekommen, die neben dem Chor auch meine Freizeit bereichern. Somit habe ich nicht nur einen neuen Chor, sondern auch neue Freunde gefunden.

Sylvia Bello, Sopran

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